EIN ORT DES GEGEN
Entwurf für einen Vortrag (Auszug)
von Annette Wehrmann
„Der ORT DES GEGEN nimmt genau genommen keinen Platz ein. Er kann an jeder beliebigen Stelle in Erscheinung treten. Der ORT DES GEGEN befindet sich fortwährend in Bewegung: Er tritt kurzzeitig an den inneren und äußeren Rändern […] aus dem städ-tischen Organismus aus. Voraussetzung für den ORT DES GEGEN ist ein Stillstand oder Versagen koordinierter Abläufe, der städti-schen Funktionen: der ORT DES GEGEN ist unter anderem eben der Ort, an dem der Müll liegen bleibt. Der ORT DES GEGEN ist die Rückseite der Utopie, die dritte Dimension. Er kann an allen nicht oder eher provisorisch definierten Plätzen zutage treten, an allen Ecken und Enden der Stadt.
Der funktionale Stillstand ist ein partieller, eine zeitweilige und örtlich begrenzte Bruchstelle (aber keine Sollbruchstelle) in den glatten und eleganten Abläufen, die Fortdauer und Effizienz der Stadt […] gewährleisten: aus Gründen, die ich zur Zeit noch nicht zur Gänze überblicke, die aber dennoch zwingend sind, wird sich in der Nähe des ORT DES GEGEN häufig eine Imbissbude oder die Filiale einer Burgerkette befinden. An beider Einrichtungen Effizienz und Funktionalität kann nicht gezweifelt werden.
Der ORT DES GEGEN bezeichnet eine Bruchstelle für zweckfreie Negation, insbesondere für ein zweckfreies Vergehen von Zeit, ma-terialisiert in der Zunahme/Anhäufung von Abfall (hallo broken-window-Theorie). Irgendwo zwischen zum Stillstand kommen und radikaler Freisetzung. Am ORT DES GEGEN können die Einwoh-ner […] zweckfrei und sinnfrei aufeinander treffen, es ist aber auch das Gegenteil oder gar nichts möglich. Am ORT DES GEGEN wachsen – wie erwähnt – die Halden: Halden an Zeit und Lange-weile, Überfluss und Abfall.“
Aus: „Ein Ort des Gegen.” Entwurf für einen Vortrag von Annette Wehrmann (Typoskript, undatiert).