20. – 26. September 2010

MACHT GESCHENKE: THE MAKING OF CAPITAL. Aufbau in der Base Station, Museum Folkwang, 22.09.2010. © C. Lahr
















BASE STATION / PROJEKT

MACHT GESCHENKE: THE MAKING OF CAPITAL
WORK IN PROGRESS, Implantate, Museum Folkwang und Innenstadtbereich, Christin Lahr, 2010

MACHT GESCHENKE: DAS KAPITAL begegnet der herrschenden politischen Ökonomie sowie sinnentleertem, menschenunwürdigem Bürokratismus mit der Geste des Schenkens und stellt die Sinnfrage. Das System zeigt sich im Spiegel. Während der Projektwoche werden alle Tätigkeiten dieses Langzeitprojekts, die normalerweise im Verborgenen ablaufen, öffentlich ausgeübt.

Die Base Station wird vom 22.09. – 26.09.2010 mein Arbeitsplatz und Ort des Geschehens. Museale Präsentation und private Arbeitssituation werden eins. Ich übernehme die Strukturen des Museum Folkwang. Von Dienstag bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr, Freitag bis 22.30 Uhr gewähre ich bildhafte Einblicke in das Wesen des Geld- und Zahlungsverkehrs sowie der Verwaltung und Bürokratie. Ich offenbare Bankgeheimnisse, beleuchte Hintergründe und wende kapitalistische Strategien (an). Kapital wird gebildet, arbeitet und wächst. Offen bleibt die Frage nach der Qualität von Mehrwert und Wertschöpfung. Besucher werden in die täglichen Transformationen eingebunden, Kontakte geknüpft, Beziehungen aufgebaut. Zwischenergebnisse werden sich abbilden. Bei gegenseitiger Wertschätzung sind un-
erwartete Geschenke möglich. MACHT GESCHENKE: THE MAKING OF CAPITAL

Gelegentlich werde ich meinen Arbeitsplatz verlassen, um Bewegungen von Kapital im Innenstadtbereich zu aktivieren sowie einen Prozess der Wertschätzung und Wertschöpfung in Gang zu setzen. Vorhandene Systeme werden entgegen der Laufrichtung genutzt und gewendet. Bei Gelingen wird in mehrfacher Hinsicht Mehrwert erzeugt. MACHT GESCHENKE: Geben ist seliger denn nehmen.


MACHT GESCHENKE: Geben ist seliger denn nehmen, materieller Überweisungsträger, Überweisungsbetrag 1 Cent, Verwendungszweck: 2 Zeilen á 27 Zeichen, 2010. © C. Lahr

















MACHT GESCHENKE: DAS KAPITAL, Postkarte. 09.02.2010, Persönliche Übergabe signierter Ausdrucke von Überweisungen an Bundestagsabgeordnete, Deutscher Bundestag, Berlin © C. Lahr

















Karl Marx „Das Kapital – Kritik der politischen Ökonomie“, 3 Bd., Berlin 2008 (39. Aufl.); Postkarte, 2010. © C. Lahr













MACHT GESCHENKE: DAS KAPITAL – Kritik der politischen Ökonomie

Schenkung an die Bundesrepublik Deutschland, Überweisungen von Kapital an das Bundesministerium der Finanzen, Christin Lahr, 2009 – ca. 2052

Seit dem 31. Mai 2009, 20:35 Uhr überweise ich täglich 1 Cent an das Bundesministerium der Finanzen und wirke damit dem unablässig wachsenden Schuldenberg in homöopatischen Dosen entgegen. In das Feld “Verwendungszweck” schreibe ich jeweils 108 Zeichen aus “DAS KAPITAL – Kritik der politischen Ökonomie” von Karl Marx ab. So wird per Online-Banking nach und nach der gesamte Text des Buches auf das zentrale Konto des Staates bei der Bundesbank übertragen. Dieser Vorgang wird in etwa 43 Jahre in Anspruch nehmen. Die hierbei transferierten ca. 15709 Cents werden im Staatshaushalt als unerwarteter Kapital-
zuwachs verbucht. Die Wertsteigerung der Kapitalanlage durch Zins und Zinseszins ist hierbei noch ebenso wenig berücksichtigt wie die eingesetzte Arbeitskraft und Lebenszeit oder die Wertschöpfung durch kulturelles und symbolisches Kapital.

Dem jeweils amtierenden Bundesfinanzminister obliegt es, DAS KAPITAL als Treuhänder in jeder Hinsicht sorgsam zu verwalten, keinesfalls zu veräußern und zum Nutzen aller gewinnbringend anzulegen. Bei pflichtgemäßer Erfüllung der Aufgabe ist DAS KAPITAL aufgrund der exponentialen Effekte von Zins und Zinseszins in der Lage, die Staats-verschuldung aus dem Jahre 2009 in Höhe von 1.746.599.197.210 EUR innerhalb von 300 Jahren zu tilgen.

Die Arbeit ist eine Schenkung an das ganze Volk, eingestellt in den Staatshaushalt der Bundesrepublik Deutschland, eingeschrieben in die Archive, verwaltet durch die aktuell gewählten Repräsentanten, sicher verwahrt bei der Bundesbank. Jede der etwa 15709 Überweisungen wird per Screenshot dokumentiert, einmalig ausgedruckt, signiert und im Verlaufe des Projektes stellvertretend an einzelne Bürger/innen verschenkt. Parallel dazu streiche ich in “Überzeichnungen” auf Transparentpapier Zeichen um Zeichen aus und erzeuge analog zum Buch eine unlesbare Notation des KAPITALS, bestehend aus Zähl- und Zahlzeichen. Am Ende des Projektes wird in mehrfacher Hinsicht ein kumulativer Kapital- und Wertezuwachs zu verzeichnen sein, der sich nicht mehr allein in Zahlen und Zeichen ausdrücken lässt.

Weitere Informationen: www.macht-geschenke.de



Christin Lahr: "MACHT GESCHENKE", Online-Überweisung, Quittung Dauerauftrag, Anwendungsbeispiel, 2010. © C. Lahr.

Christin Lahr: "MACHT GESCHENKE", Skizze, Anwendungsbeispiel, 2010. © C. Lahr.

Christin Lahr macht Geschenke. Während der nächsten vierzig Jahre überweist sie das Kapital von Karl Marx an die Bundesbank. Dabei interessiert sie das wechselseitige Verhältnis zwischen Schenkung und Macht.

© C. Lahr

Ihre Arbeit „Macht Geschenke“ hinterfragt das wechselseitige Verhältnis von Kapital und Macht. Täglich überweist sie einen Cent an die Bundesbank und übermittelt im Verwendungszweck jeder Überweisung 108 Zeichen aus dem ersten Band des Kapitals von Karl Marx. So fortgeführt, wird das Projekt noch über 40 Jahre dauern. Lahr nutzt die Tatsache, dass jedes Konto für Zahlungseingänge offen steht, um mit den Strukturen der Staatsbehörde zu interagieren und die scheinbar anonymen Abläufe des Finanz- und Steuerbetriebes aufzubrechen. Die Macht liegt formell beim Staat und seiner Verwaltung. Würde aber eine Interessengruppe, wie etwa Atomkraftgegner, zehntausendfach einen Cent an das Bundesumweltministerium überweisen, könnte das einen weitaus größeren Machtfaktor darstellen als Demonstrationen auf der Straße.

Christin Lahr, 1965 in München geboren, arbeitet als Künstlerin, Kuratorin und Professorin für Medienkunst in Berlin und Leipzig. Seit Abschluss des Studiums an der Universität der Künste Berlin hat sie zahlreiche Stipendien und Preise erhalten. Seit 2001 ist sie Professorin für Medienkunst an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und dort seit 2006 zudem Leiterin des Studienganges Medienkunst und Prodekanin.

 

Referenzprojekte

Christin Lahr: "SIGN I", Ausstellungen und - legungen, Mikrointerventionen im Öffentlichen Raum, unterschiedliche Orte, 2007. © C. Lahr.

Christin Lahr: "SIGN I", Ausstellungen und - legungen, Mikrointerventionen im Öffentlichen Raum, unterschiedliche Orte, 2007. © C. Lahr.

Ein Zeichen ist im weitesten Sinne etwas sinnlich Wahrnehmbares (z.B. etwas Sichtbares, Hörbares, Geschriebenes), das auf etwas hinweist und dem eine bestimmte Bedeutung zugesprochen wird. Ein Etwas repräsentiert ein anderes Etwas. Zum Zeichen wird es dann, wenn es eine vermittelnde Stellung zwischen einem Objekt und derjenigen Person einnimmt, die es verwendet. Als Stellvertreter tritt das Zeichen in Beziehung zu etwas, auf das es verweist und das es kenntlich macht. Manchmal ist es nur etwas Spürbares, das etwas erahnen lässt.

Christin Lahr: "SIGN I", Ausstellungen und - legungen, Mikrointerventionen im Öffentlichen Raum, unterschiedliche Orte, 2007. © C. Lahr.

 

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